"Frankfurter Allgemeine Zeitung" Nr. 9 vom 11.01.2019 Seite: I1 Ressort: Immobilienmarkt

 

Wien begegnet Wohnungsnot mit Beschränkungen

 

Der größte Wohnungseigentümer Europas setzt auf seine alten Rezepte: eine starke Regulierung des Marktes. Dieser riesige soziale Wohnungsbau leidet unter einigen Nachteilen.

Von Michaela Seiser

 

WIEN, 10. Januar. In Wien herrscht Wohnraumnot wie in anderen Metropolen Europas. Im Ringen um mehr leistbare Unterkünfte verschärft die rot-grüne Stadtregierung weiter die Regulierungen auf dem Immobilienmarkt. Demnächst muss auf allen Flächen, die neu als Wohngebiet gewidmet werden, ein verpflichtender Anteil geförderter Wohnungen entstehen. Konkret darf im Regelfall nur noch ein Drittel der Wohnnutzfläche frei finanziert werden.

 

Das bedeutet, dass auf jeder zusätzlichen Fläche in der Bundeshauptstadt, die dem Wohnen gewidmet wird, zu zwei Dritteln bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden muss. Darüber hinaus sieht die vom Wiener Landtag beschlossene Regelung eine Nettohöchstmiete von 5 Euro je Quadratmeter bei den geförderten Wohnungen vor.

 

Wirksam wird diese Zwei-Drittel-Regelung grundsätzlich bei jeglicher Neuwidmung von einer Wohnnutzfläche von 5000 Quadratmetern an. Also grob gesagt überall dort, wo etwa vier Dutzend Wohnungen oder mehr ermöglicht werden. Das umfasst auch Nachverdichtungen, wenn also bestehende Gebäude aufgestockt oder mit einem Zubau versehen werden. Die oberirdischen Grundstückskosten werden auf 188 Euro je Quadratmeter begrenzt. Das sei insofern wichtig, als rasant ansteigende Grundstückspreise gewissermaßen das Haupthindernis für günstige Wohnungen seien, findet die rot-grüne Stadtregierung.

 

Nach Einschätzung von Fachleuten ist der Anteil geförderten Wohnbaus an der gesamten Neubauleistung in den vergangenen Jahren von vormals bis zu drei Vierteln auf ein Drittel gesunken. Mit der Novelle will die Stadtregierung künftig wieder mindestens die Hälfte der neu errichteten Wohnungen fördern und damit bezahlbar machen. "Wir bekämpfen die Hauptursache der Kostenexplosion beim Wohnen, nämlich die Spekulation mit Grund und Boden, und schaffen dadurch mehr leistbaren Wohnraum", argumentiert die Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal.

Der Eingriff in der österreichischen Hauptstadt sorgt aber auch für Kritik, vor allem im Österreichischen Haus- und Grundbesitzerbund. "Planwirtschaftliche Zwangsmaßnahmen helfen niemandem. Um tatsächlich leistbaren Wohnraum zu schaffen, müsste die Stadt zunächst einmal das eigene Potential nutzen und soziale Wohnpolitik richtig, nämlich nicht mit der Gießkanne, betreiben", kritisiert deren Präsident. Mit der Regelung werde die Fortführung der bisher regen Bautätigkeit in Wien zunichtegemacht. Schließlich verfügt die Stadt Wien auch über beträchtliche Baulandreserven, die ungenutzt den verbleibenden Markt einschränken und damit die Kosten für Grundstücke hochtreiben. Mit der stärkeren Vergabe von Baurechten und der Errichtung von kommunalen Wohnungen auf diesen Flächen könnte eine weitere Schiene für die Schaffung von leistbaren Wohnungen geschaffen werden und hohe Grundstückskosten vermieden werden.

Auch Michael Pisecky, Vorsitzender der Vermögens- und Immobilientreuhänder in der Wirtschaftskammer Wien, befürchtet eine Angebotsverknappung und damit das Gegenteil des Gewünschten: "Warum soll jemand verkaufen, wenn ein Grundstück nach der neuen Regelung nur noch 60 Prozent gegenüber vorher wert ist? Bei einer Abwertung von 40 Prozent werden die Leute lieber warten. Es werden nur wenige Grundstücke auf den Markt kommen. Das führt zu einer Dämpfung des Neubaus. Dadurch erreiche ich wieder Verknappung und einen Preisauftrieb." Pisecky spricht sich dafür aus, den Markt wirken zu lassen. Denn mit Preisdumping nach unten erreicht man das Gegenteil. Um das Angebot zu vergrößern, sollte die Gemeinde Wien als einer der größten Grundeigentümer des Landes Flächen auf den Markt bringen. Zudem sollte die Nachverdichtung verstärkt und Leerstände verringert werden.

 

Tatsächlich setzt die Stadtregierung mit diesem Schritt ihre dirigistische Immobilienpolitik fort. Sie gibt erst dann Bauland für Wohnungen frei, wenn private Besitzer ihre Grundstücke an die Stadt verkauft haben. So wurde Wien in den vergangenen Jahren Eigentümerin von 2,8 Millionen Quadratmeter Bauland und Flächenreserven. Das städtische Bauland wird im Rahmen von Erbpachtverträgen günstig an private, genossenschaftliche oder öffentliche Unternehmen weitergegeben, verbunden mit der Auflage, einen Teil der geplanten Wohnungen zu niedrigen Mieten anzubieten. Genossenschaften bekommen zusätzliche Subventionen. Wien gibt rund 600 Millionen Euro im Jahr für den Wohnungsmarkt aus.

 

In den zurückliegenden hundert Jahren ist kein von der Stadt geschaffenes Wohngebäude an private Investoren verkauft worden. Wohnen als Grundrecht ist ein Prinzip der im Rathaus waltenden Regierung. Das ist auch Grund dafür, dass Wien der größte Hausherr Europas ist. Rund zwei Drittel der Wiener leben in Gemeindewohnungen und geförderten Genossenschafts-wohnungen. Die kommunale Politik sorgt so dafür, dass die Mieten in der Stadt niedrig bleiben: Viele kosten 6,50 Euro je Quadratmeter, unter 10 Euro ist in diesen Wohnungen garantiert. Zu den Voraussetzungen gehört ein jährlicher Nettoverdienst von höchstens 46 450 Euro bei einer Person im Haushalt. Bei zwei Personen ist die Grenze 69 220 Euro. Auf diese Weise wird die soziale Durchmischung gefördert. Tatsächlich stehen Gemeindebauten auch in den Nobelbezirken Wiens.

Was nach dem Bürgerkriegsschock von 1934 in klassenkämpferischer Mission eine Strategie war, um rote Zellen in die Bastionen der Bourgeoisie einzuschleusen, dient heute integrationspolitischen Zielen. "Das verhindert ein Abdriften der schlechteren Bezirke und erhöht die Toleranz", sagt Wolfgang Amann, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Immobilien, Bauen und Wohnen. So gibt es auch in ärmeren Vierteln Nachbarn, die längst zu den Besserverdienenden zählen. Genau diese mangelnde Treffsicherheit kritisiert Prunbauer: "Ein beträchtlicher Teil der dort lebenden Bewohner verdient mittlerweile so gut, dass er auf eine Unterstützung durch die Stadt nicht oder nicht mehr angewiesen ist. Großzügige Eintrittsrechte vervielfachen aber immer noch diese Fehlbelegung." Prunbauer fügt ergänzend hinzu: "Wer entsprechend gut verdient, sollte im sozialen Wohnbau einfach mehr für das Wohnen zahlen. Mit diesen Mehreinnahmen kann man dann wirklich förderbedürftigen Wohnungssuchenden helfen."

 

Der geförderte Wohnbau geht zurück auf die Zwischenkriegszeit im vorigen Jahrhundert. Wegen extremer Wohnungsnot baute die Stadt von 1925 bis 1934 mehr als 60 000 Wohnungen für Bedürftige. Das Ergebnis dieser Politik ist aus Mietersicht positiv: In Wien werden nach Angaben der Zählbehörde Statistik Austria bei Neuvermietungen von öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnungen durchschnittlich 7,60 Euro je Quadratmeter und Monat verlangt, bei privaten Anbietern sind es rund 10 Euro. Das ist deutlich weniger als in deutschen Städten, wo die Neuvertragsmieten markant höher ausfallen. Entsprechend ist die Wohnkostenbelastung am verfügbaren Haushaltseinkommen nach Angaben der EU-Datenbank SILC in Österreich mit nicht einmal einem Fünftel (EU-Durchschnitt: fast 21 Prozent) vergleichsweise gering. In Deutschland hingegen beträgt sie mehr als ein Viertel. Der Preis für diesen günstigen Preis zwischen Bregenz und Wien sind staatliche Eingriffe: Nur ein kleiner Teil der Wohnungen sind in der Donaumetropole überhaupt in der Miete frei vereinbar. Der Rest unterliegt der Regulierung.

 

Bild: Vorreiter des sozialen Wohnungsbaus: Wien rund um den Stephansdom

Bild: Foto dpa

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